Chronik
Im Februar 1987 wurde Heimstatt Esslingen e.V. auf eine Initiative des Esslinger Dekans Klaus Scheffbuch und des Sozialarbeiters Frieder Claus hin gegründet. Es sollte die Stufe des Hilfesystems sein, die mit der Wohnraumversorgung wieder in normale Verhältnisse führt und die Öffentlichkeit laut Satzung auch auf Armutsbedingungen und ihre Ursachen hinweist.
Die Geschichte dazu begann jedoch fünf Jahre früher.
Es bedurfte für die Entstehung der kirchlichen Wohnungslosenhilfe in Esslingen – wie so oft – einer politischen Voraussetzung. Die Landesempfehlungen für die Kommunen sahen 1982 vor, dass es in jedem Landkreis eine zentrale Hilfestelle mit einem kleinen Heim geben solle. Ein Finanzierungsmodell zeigte auf, wie das in der Praxis umgesetzt werden konnte.
Nach zwei Jahren kirchlichen Mahnens und Drucks unter Regie des Esslinger Dekans Klaus Scheffbuch, war der Landkreis 1984 bereit, seiner Verpflichtung nachzukommen. Die ersten Anfänge einer kirchlich initiierten und getragenen Wohnungslosenhilfe bestanden in der Einrichtung der “Fachberatungsstelle Esslingen” in Trägerschaft der Evangelischen Gesellschaft.
Der Landkreis half die ersten Monate noch mit einem Übergangsbüro im Landratsamt aus. Von dort plante und strukturierte der Dienststellenleiter Frieder Claus den Aufbau eines zentralen Hilfesystems im Landkreis, mit Sitz in der Stadt Esslingen. Die Stadt stellte ab Herbst 1984 Räume in der Heugasse 8 zur Verfügung. Dort wurde die zentrale Anlauf- und Beratungsstelle mit Sozialhilfeauszahlung, Beratung, Kleiderausgabe, Dusch- und Waschmöglichkeit eingerichtet.

In einer Zeit, in der die “vertreibende Hilfe” übliche Praxis war und ringsum die Sozialhilfe für Wohnungslose rechtswidrig in Form von Gutscheinen (als Sachleistung) ausbezahlt wurde, ging man mit der rechtsgemäßen Gewährung von Barleistung und der Hilfe zum Bleiben in Esslingen einen anderen Weg, so dass man bald von einer Flut von Hilfesuchenden überrollt wurde. Mehrere verwaltungsgerichtliche Verfügungen, die kundig gemachte Klienten gegen mehrere Nachbarlandkreise erstritten und das Umschwenken der Stadt Stuttgart auf Barleistung sorgten schließlich dafür, dass Hilfesuchende nicht länger nach Esslingen reisen mussten, um zu ihrem Recht zu kommen.
Eindrücklich aber war die Erfahrung, wie nahe Armut und Rechtlosigkeit beieinander lagen und wie wichtig Rechtsverwirklichung in diesem untersten Bereich der Armenhilfe ist.
Die Bereitschaft der Kirchengemeindeglieder zu persönlichem oder finanziellem Engagement war groß: Regelmäßige “Begegnungsabende” zwischen Sesshaften und sogenannten Nichtsesshaften mit einer kurzen Liturgie und Tischgesprächen stellten Begegnung her, wo man sich sonst meidet. Aus dieser Ebene entwickelten sich dann weitere Hilfen: Arbeit und Wohnung wurden angeboten, Ausgegrenzte wieder in eine Gemeinschaft hereingenommen.
Rückkehr zur Normalität
Von Anfang an war es uns wichtig, Normalität herzustellen. Zur Normalität bedarf es harter, teurer Ressourcen: Wohnung, Arbeit, materielle Absicherung. Nur wer normal lebt, verhält sich auch normal. Doch der Bruder im Geiste muss auch ein Bruder im Materiellen sein.
Mit der Fachberatungsstelle gelang es rasch, Menschen mit Sozialhilfemitteln wieder eine Existenzgrundlage und damit eine Perspektive zu geben. 1985 konnte ein älteres Haus in Esslingen beim Güterbahnhof in der Schlachthausstraße 2 gekauft werden. Die vier Kirchenbezirke im Landkreis standen hier in großartiger Weise zusammen und ermöglichten (“1 Mark pro Gemeindemitglied”) die Finanzierung der Eigenmittel. Mit einfachsten Mitteln und Möbelspenden konnte ein kleines Wohnheim mit 20 Plätzen und fünf Notbetten als Erfrierungsschutz eingerichtet werden.

Ein Dach über dem Kopf kann erdrücken, wenn man keine Arbeit hat. Deshalb wurden mit der Neuen Arbeit Stuttgart gGmbH zwei Waldarbeitsgruppen aufgebaut. Dort gab es auf 18 Monate befristete Arbeitsplätze, finanziert mit Sozialhilfe, die vor allem die Wiedereinstiegschancen in den ersten Arbeitsmarkt verbessern sollten, jedoch auch wieder wichtige Alltagsstruktur und einen Sinn ins Leben bringen konnten. Arbeitslosigkeit ist, wie Wohnungslosigkeit, eine Form der Ausgrenzung vom normalen Leben, die in aller Regel eine zerstörerische Wirkung auf die Persönlichkeit hat.
Wohnungsnot
Doch mit der heraufziehenden Wohnungsnot der späten 80er Jahre schien alle Mühe umsonst: Kaum jemand fand noch eine Wohnung; die Zahl der erfolgreichen Vermittlungen ging von anfangs jährlich bis zu 40 im Jahr 1987 auf eine zurück. Heimaufenthalte zur Abwendung von Wohnungslosigkeit stellen aber keine Lebensperspektive dar.
Wieder war es der Esslinger Dekan Klaus Scheffbuch, der die wichtigen Weichen stellte.
Nach einer Intervention von Gerhard Höschele, Michael Schneidereit und Frieder Claus war er ohne Zögern bereit, den Vorsitz eines Vereines zur Schaffung von Wohnraum für Wohnungslose zu übernehmen. Als er im Februar 1987 im Esslinger Gemeindehaus “Laterne” zur Gründungsversammlung rief, kamen namhafte Vertreter der Kommunalpolitik, Banken, Wohnungswirtschaft, Industrie, Hochschule, Kirchen und der Sozialen Arbeit. Sie gaben dem neu gegründeten Verein Heimstatt Esslingen das notwendige politische Gewicht und somit den Stimm- und Namenlosen ihre Stimme und ihren Namen.
Anfangs gab es kein Haus und die neue Vereinskasse war leer. Der Antrag auf eine städtische Immobilie bzw. einen Zuschuss stieß in der Verwaltung bis hinauf zum OB nicht auf offene Ohren. Mit Hilfe der starken Lobby kam dann aber ein Gemeinderatsbeschluss für einen städtischen Zuschuss von 200.000 DM zustande. Mit einem weiteren Zuschuss des Landkreises gelang der Kauf des ersten Stammhauses Bismarckstraße schon im Gründungsjahr. Zu Weihnachten 1989 konnten bereits die ersten sechs Bewohner nach dem Umbau einziehen.
So wurde seit der Vereinsgründung auf alle erdenkliche Weise Wohnraum für Menschen geschaffen, die darauf schon nicht mehr zu hoffen wagten. Weit über 380 Menschen konnten damit bislang aus der Obdachlosigkeit geholt werden. Hilfe für Wohnungslose ist möglich.
Mit einem Modell “Ethische Kapitalanlage” haben wohlwollende Menschen mehr als 30 Wohnungen gekauft, die wir zehn Jahre belegen können.
Wirksame Hilfe zieht ihre Kreise. Wenn Menschen wieder auf die Füße gestellt werden, wird das auch über konfessionelle Grenzen hinweg wahrgenommen: wie z.B. der katholische Tagestreff St. Vinzenz mit Mittagstisch und medizinischer Ambulanz für die Allerärmsten oder auch kreative Theaterarbeit im eigenständigen Verein “Kultur am Rande”, in dem nicht wenige Heimstattbewohner*innen engagiert sind.
War vor 34 Jahren noch Gleichgültigkeit und Vertreibung die Regel, werden heute die Probleme von Randgruppen sensibler wahrgenommen und hinterfragt. Das kirchliche Engagement für Arme hat die soziale Atmosphäre in Esslingen verändert.